Mein Werdegang mit der Hämochromatose (Stand: 06/2014)

Ich bin heute 64 Jahre alt.

Die Hämochromatose-Erkrankung wurde bei mir 1998, also als ich 49 Jahre alt war, festgestellt.

Wenn ich die Berichte anderer HVD-Mitglieder lese und ihren zum großen Teil langjährigen Weg bis zur Feststellung der HC-Erkrankung, dann verspüre ich dreierlei: Großes Mitgefühl für den leidvollen Diagnose-Weg, die dabei u.U. erlittenen irreparablen gesundheitlichen Schäden der Betroffenen – aber auch eine Wut über die offensichtlich immer noch mangelhafte Diagnosefähigkeit bzw. -bereitschaft in unserem Gesundheitsapparat, diese schwere Erkrankung frühzeitig zu erkennen.

Daher möchte ich an meinem Diagnose-Weg zeigen, dass es auch ganz anders laufen kann:
Kraft war etwas, was mir reichlich in die Wiege gelegt wurde. Ich habe mein ganzes Leben lang intensiv Sport getrieben. Ich hatte Freude daran, Verantwortung in verschiedenen Bereichen privat und beruflich zu übernehmen. Ab Mitte 45 änderte sich langsam etwas: Ich fühlte mich öfter ausgepumpt, ausgelaugt, schlapp. Scheidung, Alleinerzieher für 2 Töchter (11 und 17 Jahre), ein Großprojekt bei der Arbeit… Ich schob meine Kraftlosigkeit auf meine momentane Überlast. Mit der Zeit kamen andere ungewohnte Symptome hinzu: Gelenkschmerzen in den Händen und Füßen (Mittelfuß und große Zehen), sporadische Oberbauchschmerzen, verstärkter Harndrang, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck. Mir wurde alles zu viel: Ich hatte das Gefühl, in jedem der Lebensbereiche Beruf, Kindererziehung, Freunde- und Bekanntenpflege viel zu wenig zu tun, zu „fehlen“.  Mit diesem Scherbenhaufen ging ich im September 1998 zum Arzt. 2 Wochen dokumentierte ich auf sein Anraten hin den Blutdruck und den Puls, sowie die Anzahl und Heftigkeit der Herzrhythmusstörungen. Ein EKG lieferte keine relevanten Fehlsignale. Die Oberbauchschmerzen wurden heftiger, die Kraftlosigkeit ebenso. Im November 1998 überwies mich mein Arzt in eine Diagnoseklinik. Nach 2 Wochen stand die Diagnose eindeutig fest: Primäre Hämochromatose, Transferrin-Sättigung (71,5%, Normwert 15 – 45%), Ferritin 1937 ng/ml (Normwert 23 – 180 ng/ml). Durch das Eisen waren bereits organische Schäden entstanden (Siderophilie der Leber, Pseudogicht, Harndrang). Es folgten wöchentliche Aderlässe von 500 ml über nahezu 1 Jahr. Ich wurde 3 Monate mittels Krankschreibung aus dem Verkehr gezogen. Die Aderlässe belasteten mich anfangs sehr: Jede Bewegung, das Treppensteigen, fielen mir extrem schwer.

Da saß ich nun; die Welt wirkte nach einem Aderlass filigran – fast durchsichtig, zerbrechlich. Ich hatte Anfangs das Gefühl, mir würde das Rückenmark herausgezüllt. Alle Welten brachen für mich zusammen: Neidvoll schaute ich jedem Radfahrer oder Jogger hinterher – eine Welt, die unerreichbar für mich war. Mir fielen die Namen von KollegInnen oder NachbarInnen nicht mehr ein, ich hatte Konzentrationsschwierigkeiten. Mir fiel auf, wie viel ich im Leben mit Kraft bewältigt hatte. Ich begriff die Welt nicht mehr, nichts passte mehr – ich wurde depressiv.

Jedoch: Mein Arzt hatte mir innerhalb von nur 3 Monaten die Diagnose „primäre Hämochromatose“ geliefert. Dafür bin ich ihm – und auch den Möglichkeiten in unserem Gesundheitsapparat – aus tiefstem Herzen dankbar!

Nach 3 Monaten fing ich an, mich an die wöchentlichen Aderlässe zu gewöhnen. Ich einigte mich mit meinem Arbeitgeber, am Tag des Aderlasses am Heimarbeitsplatz zu arbeiten. Auch die Spaziergänge konnte ich mehr und mehr verlängern. Die Stimmung hellte sich wieder auf.

Heute, 16 Jahre nach der Erstdiagnose, hat sich ein Rhythmus von ca. 7 Wochen für die Aderlässe von 500 ml herauskristallisiert. Am Tag des Aderlasses bin ich müde; ansonsten vertrage ich die Aderlässe gut. Die Gelenkschmerzen haben sich insgesamt verstärkt. Meine geliebten Hobbies – Holzplatten für Kunstdrucke zu schnitzen, das Tennisspielen und Segeln – musste ich aufgeben. Das damit verbundene Selbstbild und das soziale Umfeld brach weg: Ich musste mich „neu erfinden“. Dabei half mir eine Psychotherapie sehr. Nach wie vor bewege ich mich viel (radfahren, schwimmen, wandern). Ich bin davon überzeugt, dass das kontinuierliche, aber schonende sich Bewegen die HC-spezifischen Gelenkprobleme minimiert: Vor 4 Jahren bin ich mit meiner Frau den Jakobsweg nach Santiago gelaufen, ohne größere Probleme zu haben. Dennoch läuft die Angst mit: Ein Verkanten mit dem Knöchel und die Tour kann beendet sein, da in so einem Fall die Pseudogicht-Syndrome stark auftauchen. Ebenso schmerzhaft sind die beiden Mittelhände, die Daumen- und Zeigfinger-Gelenke, sowie neuerdings auch die Knie. Die Einnahme von Schmerzmittel will und konnte ich bis heute vermeiden. Aus den Berichten der HVD habe ich  von erfolgreichen Bestrahlungsmethoden („Radiosynoviorthese“) gelesen und schöpfe neugierig Hoffnung.

Die HC hat mich im vollen Lauf erwischt. Sie zog mir den Boden unter den Füßen weg. Ich musste mich neu ordnen, kleinere Brötchen backen. Heute denke ich, dass das auch ein Stück Glück war: Ohne diese Vollbremsung wäre ich wohl ein aussichtsreicher Kandidat für den Herzinfarkt gewesen. Inzwischen bin ich in Rente.

Und der Jakobsweg hat es mir gezeigt: Auch durch kleine Schritte kann man weit kommen – auf jeden Fall genussvoller.

Ich bin in guter Hoffnung, dass sich durch ständige Aufklärung über die Symptomatik der HC in der Ärzteschaft, durch Ergänzungen der Standard-Laborwerteerhebung und durch Aufklärung der Menschen in den Medien eine HC-Erkrankung möglichst frühzeitig erkannt werden kann.

Um diese Ziele zu unterstützen und  mit Betroffenen ins Gespräch zu kommen, uns gegenseitig zu unterstützen, bin ich Mitglied der HVD geworden.

Mit solidarischen Grüßen
N.N. (Name ist der HVD bekannt)

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